Portrait im Wohnwagen Ontias, der Esel beobachtet das Meer Stephane vor seinem Wohnwagen Ontias, der Esel beobachtet Touristen Ontias, der Esel beobachtet Touristen
Beim Drehen lernt man sehr viele unterschiedliche Menschen kennen, einige von ihnen bleiben lang im Gedächtnis. Einer von ihnen ist Stephané Laisné, den wir zusammen mit seinen Eseln in einem kleinen Zirkus in Nizza für ARTE porträtiert haben. Sicherlich ein besonderer Dreh, alleine wegen der Genehmigung Stephanés Esel „Ontias“ beim beobachten der Touristen auf dem Boulevard des Anglais zu beobachten. Und zu Filmen. Hier ein Interview mit Stephané, das der Regisseur Fabian Wolf mit ihm geführt hat. Wer bist du und was machst du? Ich heiße Stephané Laisné. Ich bin 57 Jahre alt. Seit 15 Jahren arbeite ich mit Eseln. Ich liebe es mich um sie zu kümmern – Geschichten mit ihnen zu erzählen – egal ob im Zirkus oder im Theater. Wie bist du auf die Idee gekommen mit Eseln zu arbeiten? Das war reiner Zufall. Meine damalige Freundin arbeitete – ganz klassisch – mit Pferden. Ich kam eigentlich von der Akrobatik, wollte aber auch etwas vorführen. Die Kompanie mit der wir zu dieser Zeit arbeiteten hatte auch einige Esel. Naja, wenn ich ehrlich bin, eine Eselin – ihr Name war Babouche. Das bedeutet Stiefel. Ich fing also an mit ihr zu spielen und wollte eine Pausenclown-Nummer einstudieren. Die Nummer sollte eher witzig sein. Also versuchte ich Babouche beizubringen immer größere Gegenstände in die Manege zu tragen. Aber ihr gefiel das gar nicht. Wenn ich ihr also einen Gegenstand hinstellte, passierte: nichts. Doch in diesem Nichts entstand, ganz plötzlich, unser erster Kontakt. Ein flüchtiger Austausch unserer Blicke. Sie wackelte mit den Ohren. Und begann mir kleine Zeichen zu geben. Das war für mich der wunderbare Beginn meiner Arbeit mit Eseln. Ich bemerkte: wenn ich einem Esel etwas beibringen will, muss ich eine Beziehung zu ihm aufbauen. Ich muss dem Esel also auf einer sozialen Ebene zuerst etwas geben, bevor ich etwas zurückbekomme. Nach kurzer Zeit lief mir Babouche in der Manege hinterher, kletterte auf meinen Rücken und rollte sich mit mir durch den Sand der Manege. Sie hatte einfach einen sehr besonderen Charakter. Vielleicht hatte ich also auch schlicht Glück eine Eselstute kennenzulernen, die mich auf Anhieb mochte. Du warst also davor schon beim Zirkus? Vor sehr langer Zeit besuchte ich eine Theaterschule. Als ich damit fertig war, habe ich zufällig die Akrobatik für mich entdeckt. Das akrobatische Arbeiten hat mich dann schließlich zum Zirkus gebracht. Für mich war der Zirkus eine echte Offenbarung. Am Theater gibt es Schauspieler, Regisseure, Techniker und Verwaltungskräfte. Alles ist getrennt und organisiert. Im Zirkus stehst du plötzlich in der Manege und jeder macht einfach alles. Alle Tätigkeiten sind gleich wichtig. Egal ob du schweißen kannst, einen LKW fährst, Akrobat bist, Artist oder Tickets verkaufst. Hochmut ist dort unangebracht. Das ist es, was mir noch heute so besonders am Zirkusgewerbe gefällt. Sind alle Esel gleich? Nein, natürlich nicht. Manche sind temperamentvoll. Andere sind weich und ruhig. Was allerdings alle Esel verbindet: sie sind neugierig und kontaktfreudig. Ganz wie der Mensch. Ich glaube sogar Esel brauchen den Kontakt zum Menschen. Vielleicht ist das nicht eines ihrer Grundbedürfnisse. Aber zumindest ihr unterschwelliges Verlangen. Ich mache mir diese Eigenschaft zu Nutzen. Indem ich eine echte Beziehung zum Tier aufbaue. Wie kann ich mir das vorstellen? Das wichtigste ist, dass ich mit meinen Eseln tatsächlich zusammen lebe. Ich delegiere die Drecksarbeit also nicht. Sondern ich pflege die Esel selbst, ich bürste sie, ich gebe mit ihnen spazieren und ich kümmere mich um sie, wenn sie krank sind. Der Esel weiß also, dass er mir vertrauen kann. Er lernt, dass ich sein Freund bin, dass ich es gut mit ihm meine. Erst wenn ich eine persönliche Beziehung zu einem Tier aufgebaut habe, beginne ich mit der Arbeit in der Manege. Dort lege ich meine Hände auf den Körper des Esels und versuche herauszufinden, mit welcher Geste, mit welchem Druck ich ihn dazu bringen kann sich zu bewegen. Das dauert ewig. Aber es entwickelt sich dabei ein immer neues Spiel zwischen dem Esel und mir. Irgendwann beginnt der Esel schließlich mir Vorschläge zu machen. Zum Beispiel stupst er mich mit seinem Kopf an. Oder schubst mich mit seiner mächtigen Hüfte. Oder er spaziert mir hinterher. Das ist jedes Mal anders. Und es ist immer neu. Es entsteht eine einzigartige Beziehung zwischen dem Esel und mir. Und für mich ist das die pure Glückseligkeit. Warum macht ein Esel da mit – ist ihm das nicht zu blöd? Ich weiß es nicht. Vielleicht ist das eng mit unserer Geschichte als Mensch und Tier verknüpft. Der Mensch ist ja im Prinzip nur ein weiterentwickeltes Tier. Das verbindet uns schon immer miteinander. Und der Mensch war schon immer fasziniert von dieser Verbindung. Er hat die Tiere sogar auf Höhlenwände gemalt. Wir sind ein Bestandteil dieses Planeten und begegnen uns also schon seit langem. Logisch, dass wir da ein gegenseitiges Interesse aneinander entwickelt haben. Heute haben wir dieses besondere Interesse an den Tieren vielleicht ein wenig verloren. Für mich persönlich ist es aber ein grundlegendes Bedürfnis. Ich könnte in keinem Universum leben in dem es keine Tiere um mich herum gibt. In meinem speziellen Fall sind das halt Esel. Ich brauche sie um meine Verbindung zur Erde zu spüren. Damit ich eine essentielle Bedeutung wahrnehme, die mir die Moderne Welt nicht geben könnte. Vor allem in schwierigen Phasen geben die Esel mir etwas, das mich durchatmen lässt.
Du arbeitest seit fast zwei Jahrzehnten mit Eseln. Geben sie dir auch noch etwas, das dicht überrascht? Ja, natürlich. Seit kurzem arbeite ich zum Beispiel in der Kindertherapie. Vorwiegend mit Kindern, die eine geistige oder körperliche Behinderung haben und von einer entsprechenden Einrichtung betreut werden. Sie besuchen die Esel und mich und ich bringe ihnen bei wie man mit den Tieren umgeht. Erst einmal sind die Kinder eher ungeschickt, haben Angst oder eine zu grobe Art. Da meine Esel jedoch den Kontakt zum Publikum gewöhnt sind, macht ihnen das nichts aus. Ein Kind kann sich einem meiner Esel zwar gewalttätig annähern. Aber mein Esel wird ihm niemals mit Gewalt antworten. Das finde ich spannend. Also rede ich mit dem Kind, warum es so grob ist. Ich versuche es von einer sanfteren Gangart zu überzeugen. Und sehe ein direktes Ergebnis. Die Kinder lernen so einen positiven Umgang mit einem anderen Lebewesen. Das macht mich natürlich sehr zufrieden. Ich sehe, dass die Verbindung, die ich wegen der Shows zu meinen Eseln aufbaue, einen komplett anderen Nutzen hat. Dass die Beziehung zu meinen Eseln ein großes Ganzes ist. Man gewinnt beinahe den Eindruck du behandelst deine Esel wie Menschen. Nein. Das glaube ich nicht. Vielleicht habe ich einen humanistischen Ansatz. Ich versuche die Tiere zu verstehen. Denn was mich wirklich am Esel interessiert ist sein Empfinden. Für mich sind Esel außerordentlich kontaktfreudig und sensibel. Sie reagieren sehr feinfühlig auf die Energie, mit der ich meine Handlungen durchführe. Sie bemerken die Art meiner Stimme. Manchmal spüre ich das am Ende einer Trainingseinheit. Der Esel kommt dann zu mir und legt seinen Kopf auf meinem Arm oder meiner Schulter ab. Das ist für ihn ein Zustand echter Entspannung. Und für mich ist es ein Zeichen seiner Zuneigung. Vielleicht sehe ich dabei eine ähnliche Verhaltensweise wie beim Menschen. Denn diese affektive Beziehung zum anderen liegt ja auch in unserer Natur. Eine stürmische Umarmung ist ja auch nur ein physischer Kontakt. Aber Esel sind für mich trotzdem Esel. Das Tier bleibt ein Tier. Und das ist ja auch, was mich an ihnen interessiert. Ich suche nicht nach einer bestmöglichen Verwertung meiner Esel, sondern danach, was das Tier mir beibringen kann. Wie verläuft ein gewöhnlicher Tag in diesem Showumfeld? Naja. Ich wache morgens auf, trinke einen kleinen Orangensaft und breche danach zum Stall auf um die Esel zu füttern. Als erstes kriegen sie Heu, damit sie auch ein bisschen aufwachen. Danach lasse ich sie erst einmal in Ruhe. Normalerweise komme ich erst eine halbe Stunde später zurück und putze dann ihren Stall. Dann wasche ich sie. Das heißt ich bürste ihr Fell, reinige ihre Hufe, usw. Vormittags gibt es dann eine Trainingseinheit in der Manege. Ich wiederhole dort Sachen, die am Abend davor nicht gut geklappt haben. Oder ich probiere neue Ideen aus. Aber nicht jeden Tag. Manchmal lasse ich die Tiere auch einfach nur in der Manege entspannen. Im Moment widme ich Esperanza, dem Maultierweibchen, recht viel Zeit. Ich habe sie ja zum ersten Mal dabei und sie ist auch generell noch nicht lange bei mir. Wir müssen also noch eine intensivere Beziehung zueinander aufbauen. Sie war davor schon ein Dressurmaultier, das jedoch sehr komplexe Sachen aufführen sollte. Ich versuche deshalb mit ihr erst einmal zu einer recht simplen Basis zurückzukommen. Ich hoffe, dass wir uns so von der Dressur entfernen können und zu einem spielerischen Miteinander kommen. Bislang funktioniert das auch ganz gut. Nach der Probe nehme ich mir eine kleine Auszeit, denn es gibt immer ein bisschen was zu tun. Zurzeit ist mein Sohn da. Vielleicht gehen wir daher nachher noch spazieren. Manchmal mache ich dann noch einen kurzen Mittagsschlaf bevor die Show losgeht. Danach putze ich die Manege und die Sitzplätze, ziehe mich um und schminke mich für den Abend. Und dann beginnt die Show. Gibt es etwas, das du mit deinen Eseln noch erreichen willst? Da gibt es noch vieles, ja. Ich würde gerne auf eine lange Wanderung mit Ontias gehen. Ihn vielleicht als Reisegefährten ins Ausland mitnehmen. Außerdem verehre ich Mozart, ich liebe seine Musik. Ich träume davon meine Esel mit Mozart in Berührung zu bringen. Eines Tages finden wir uns vielleicht in einer Oper wieder. Und wenn das passiert, haben wir wahrscheinlich eine wirklich lange, gemeinsame Reise hinter uns. _ Interview: Fabian Wolf Übersetzung aus dem Französischen: Yannick Rouault Fotografien / Stills: Moritz Frisch © 2016